Dr. Dominik Frank ist einer der Wissenschaftler, die am Forschungs-institut für Musiktheater (fimt) an der Universität Bayreuth, arbeiten. Zusammen mit Institutsleiter Prof. Dr. Anno Mungen forscht er im Rahmen eines Erkenntnistransferprojektes zu Wagnergesang im 21.Jahrhundert – historisch informiert. Innerhalb dieses Projektes sind sie an einer konzertanten Aufführungsreihe von Richard Wagners Der Ring des Nibelungen, durchgeführt durch Kent Nagano und das Concerto Köln, beteiligt. Im November 2021 fanden in diesem Rahmen zwei Aufführungen des Rheingolds in Köln und Amsterdam statt. Seit diesem Jahr arbeiten auch die Dresdener Musikfestspiele an den Aufführungen mit. Auftakt dieser neuen Kooperation bildete eine Vorstellung des Rheingoldes in Dresden am 14.Juni 2023. In den nächsten Jahren ist auch die Produktion der weiteren Werke des Zyklus geplant. Das spannende dieser Aufführungen ist, dass hier Wissenschaftler*innen und Künstler*innen zusammenkommen, um Richard Wagners Werk historisch informiert auf die Bühne zu bringen. Was das bedeutet und wie hier Forschung und Praxis Hand in Hand gehen, sind wir in einem Gespräch mit Dominik auf den Grund gegangen.
Es ist Mittwoch, 10:30h, wir befinden uns auf dem Campus der Universität Bayreuth, wir haben beide einen Kaffee in der Hand, es kann losgehen.
Erst mal vielen Dank, Dominik, dass Du dir die Zeit nimmst, mit mir über dieses Projekt zu reden. Vielleicht erstmal eine sehr grundlegende Frage: Was genau ist die Rolle des fimt bei diesem Projekt?
Das fimt ist ja im Grunde genommen angedockt an ein bereits bestehendes Projekt, das Kai Müller und Jochen Schäfsmeier mit dem Concerto Köln ins Leben gerufen haben. Dieses Projekt, die Wagner-Lesarten, sind eigentlich aus einer Schnapsidee nach einem Konzert von Concerto Köln mit Kent Nagano entstanden, als die Leute von Concerto Köln zu ihm meinten: Herr Nagano, sie lassen sich hier immer auf unser Repertoire ein – also auf die alte Musik – sollen wir nicht auch mal für Sie Wagner spielen, oder so – irgendwas aus Ihrem Repertoire? Und so wurde die Idee geboren, dass man sich von der alten Musik und der historischen Aufführungspraxis kommend Wagner nähern könnte. Und wenn schon Wagner, dann direkt den ganzen Ring.
Ein Riesenvorhaben also! Was braucht man dafür?
Und dann haben die das erstmal ganz breit aufgestellt. Zunächst braucht man natürlich historische Instrumente, weil die anders klingen als moderne. Beispielsweise werden die Streichinstrumente mit Darmsaiten, statt Stahlsaiten bespannt oder bestimmte Instrumente werden nachgebaut, wie zum Beispiel Fagotte, die einen bestimmten Aufsatz – eine A-Stürze haben- oder spezielle Wagnertuben. Dadurch entsteht schonmal ein anderer Klang, dazu kommen dann die historischen Spieltechniken, also das Portamento oder manche Arten von Glissandi. Aber auf jeden Fall spielt es eine Riesen-Rolle zusätzlich zu den historischen Instrumenten, dass die Streich- und Blastechniken andere sind, als in einer zeitgenössischen Interpretation. Das betrifft jetzt erstmal „nur“ das Orchester, aber es gibt ja eben auch noch Sänger*innen. Von Anfang an wurde in den Überlegungen die Aussprache des gesungenen Textes mit einbezogen, denn die müsste ja damals anders geklungen haben als heute. Und an dieser Stelle kommen wir langsam ins Spiel. Anno (Prof. Dr. Anno Mungen, Institutsleiter des fimt) wurde schon zu Beginn des Projektes für den wissenschaftlichen Beirat angefragt, und er meinte, das man sich eigentlich noch viel intensiver mit dem Gesang beschäftigen müsse.
Also haben wir ein DFG-Projekt mit dem Titel Wagnergesang im 21.Jahrhundert – historisch informiert eingeworben. Das besondere an diesem Projekt ist zunächst, dass es ein Erkenntnistransfer-Projekt ist, was eigentlich ein Format ist, dass die Naturwissenschaft vor allem bedient. Wir haben dieses Prinzip übernommen für die Geisteswissenschaften. Die Idee ist, dass wir als Uni mit dem Praxispartner Concerto Köln arbeiten, bei denen wir unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse so direkt in die Praxis übertragen können und aus der Praxis wiederum wissenschaftliche Erkenntnisse ziehen. Unser Fokus liegt dabei auf dem Gesang, basierend auf Annos Forschungen zu Wilhelmine Schröder-Devrient. Sie war ja so was wie Wagners großes Gesangsideal, weswegen wir von ihr als Vorbild für mögliche Gesangstechniken gut ausgehen können. Auf der anderen Seite betreiben wir Forschung zu den Gesangsschulen dieser Zeit.
Und worauf kann man aus dieser Forschung heraus schließen?
Einerseits zum Beispiel, dass auch die Sänger*innen mit viel mehr Portamento arbeiteten als heute. Andererseits, dass Wagner die Extreme liebte, was sich – ich finde das zeigt die Partitur auch sehr deutlich - beispielsweise in dem starken Wechsel zwischen deklamatorischen Sprechgesang – der manchmal fast schauspielerisch klingt – und Belcanto zeigt. Es gibt ja immer dieses Vorurteil des Bayreuth Barking – das Bayreuther Bellen – das vor allem als Konsonantenspuckerei verschrien ist, aber der Belcanto gehört eben genauso zu Wagners Ausdrucksweisen. Gerade diese krassen Wechsel der Ausdrucksweisen sind für uns so spannend. Und eben die Schröder-Devrient-Momente, in denen man aus dem Tempo geht, vom Gesang ins sprechen, flüstern oder sogar schreien wechselt. Wichtig ist dabei immer im Blick zu haben, dass Schröder-Devrient eben immer vom schauspielerischen aus gedacht hat, weswegen wir in unserem Projekt auch stark mit der Interpretation des Stückes und der Rollen beschäftigt sind und mit den Sänger*innen wirklich Schauspiel-technisch arbeiten können, um diese Figuren aus dem damaligen Kontext und aus Wagners Ideenkosmos heraus begreifbar zu machen. Dabei stoßen wir dann auch auf die problematischen Stellen des Rings, nämlich zum Beispiel auf die Frage, was für ein Frauenbild hier dargestellt wird oder wie der Antisemitismus durch Judenkarikaturen sich in dem Stück niederschlägt, etc.
Ich hab noch eine Nachfrage zu dem Wilhelmine Schröder-Devrient Momenten. Habe ich das richtig verstanden, dass das Momente sind, in denen die Zeit quasi zum Stillstand kommt?
Es sind auf jeden Fall Momente, in denen die Zuhörenden/Zuschauenden aus dem Hörfluss rausgerissen werden. Das kann natürlich durch den Stillstand geschehen, es sind aber vor allem Momente in denen der „normale“ Höreindruck gestört wird. Berühmt geworden ist bspw. dieser Moment in Fidelio, wenn Leonore nicht mehr singt, sondern wirklich ruft: Noch ein Wort und du bist tot! Das ist schon in der Partitur so angelegt und heute ist es sehr üblich es so zu machen, aber Schröder-Devrient muss diese Momente sehr exzessiv ausgestaltet haben, so dass es wirklich in jeder Kritik zu den Aufführungen erwähnt wurde. Schröder-Devrient Momente können sich also darin zeigen, dass vom Singen zum Sprechen gewechselt wird, das Tempo sich ändert oder wirklich geschrien wird.
Wagner spielt ja immer wieder mit diesem Wechel von Sprech/Sing-Duktus. In Siegfried bspw. gibt es diese verschiedenen Ausdrucksformen, gerade in Szenen mit Siegfried und Mime oder Wotan und Mime. Man hat immer diesen Eindruck, dass die Sänger*innen ausbrechen aus einem bestimmten Duktus…
In Walküre 1. Aufzug ist das ja auch total extrem. Bis zu dem Moment in dem Sieglinde und Siegmund sich wirklich verlieben, also bis zu dem Moment in dem die Tür aufspringt, kann man den kompletten Text deklamatorisch sprechen statt singen und man hat eigentlich keinen Qualitätsverlust. Erst dann wird durch die Liebe im Grunde genommen der Gesang geboren. Sich das genauer anzuschauen, darauf freue ich mich schon, wenn wir in unserem Projekt bei der Walküre ankommen.
Aufgabe der Wissenschaftler*innen , die an den Wagner-Lesarten Projekt beteiligt sind, ist also ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse an die Akteur*innen zu vermitteln. Du sagtest, euer Teilprojekt „Wagnerlesarten im 21.Jahrhundert – historisch informiert“ ist ein Erkenntnistransfer-Projekt. Was genau bedeutet das, bzw. mit welchen Methoden arbeitet ihr dabei?
Erstmal unterscheidet sich das Erkenntnistransferprojekt von einem normalen DFG Projekt, während eben ein normales DFG Projekt eine wissenschaftliche Publikation als Endergebnis hat, werden bei einem Erkenntnistransferprojekt, die Erkenntnisse des Projekts sofort in die Gesellschaft gespiegelt. Das äußert sich in diesem Fall in dem Konzert, den Programmheften, den Ausstellungen, die es in Dresden gab, also mit all dem, was quasi sofort zugänglich gemacht wird. Und das passiert durch die Methode der künstlerischen Forschung, indem wir eben direkt zusammenarbeiten mit Künstler*innen und nicht in den luftleeren Raum hinein anfangen zu denken. Beispielsweise sitze ich eben nicht in meinem Büro und schreibe Ah die Freia könnte jetzt ja mal zwei Stunden leiden, sondern kann direkt mit der Sängerin sprechen und ihr sagen, probiere es doch mal so oder so aus, wie fühlt es sich an, wenn du an der Stelle sprichst, fühlt sich das richtig an? An der Stelle funktioniert es vielleicht nicht, aber an anderer sehr gut. Und diese Arbeit wird dann wieder wissenschaftlich reflektiert und ausgewertet. Konkret bedeutet das, dass wir nach der Aufführung in Köln 2021 47 qualitative Interviews mit Sänger*Innen, Orchester, wissenschaftlicher Begleitung, Backstage-Personal und teilweise Publikum geführt und transkribiert haben und diese dann per Clusteranalyse analysiert haben, um die ästhetische Wirkungsweise der neuen alten Techniken zu erfassen und zu dokumentieren.
Wie genau aber war jetzt der Arbeitsprozess bei den Proben für das Rheingold? Du hast ja die Proben mitbetreut, wie ist da die Arbeitsteilung auch mit den anderen Wissenschaftler*innen, die auch an dem Projekt beteiligt sind?
Also grundsätzlich kann man sagen, dass auf den Proben Ulrich Hoffmann – Sprechwissenschaftler aus Halle – darauf hinweist, dass das r mehr ein rrr, das o ein oh und das u ein uuu sein muss und ich sag dann: schreit hier noch ein bisschen mehr…
Er leitet eben die Ausspracheübung an, während meine Aufgabe eben diese verschiedenen Ausdrucksweisen sind, also eben an bestimmten Stellen zu schreien oder zu sprechen statt zu singen, oder aus dem Tempo rauszugehen. In der Kölner Version der Aufführung war ich außerdem für die historische Mimik und Gestik verantwortlich. Natürlich ist es aber auch ein miteinander auf den Proben und auch die anderen Beteiligten diskutieren da ebenfalls mit und bringen ihre Erkenntnisse mit ein. Und dann ist die Erarbeitung der Rollenpsychologie meine Aufgabe, im Grunde alles was mit der „Regie“ des konzertanten Abends zu tun hat.
Zu eurem Projekt gehört also auch die Rollenpsychologie und die Interpretation des Stückes aber auch die Erforschung bestimmter historischer Gesten. Inwiefern sind diese Komponenten wichtig für eine konzertante Aufführung, bei der ja erstmal vor allem die musikalische Interpretation im Vordergrund steht?
Erstmal ganz profan machen die historischen Gesten natürlich etwas mit dem Pathos, in dem gesungen wird, und Wagner will mehr Pathos. Das heißt, wenn ich den Arm hochreiße und dabei Hilfe schreie, wird das eine andere Wirkung haben als wenn ich eine andere, zeitgemäßere Geste mache, oder wenn ich die Hand aufs Herz lege, während ich singe, unterstützt das den emotionalen Pathos der Worte. Nicht umsonst gestikulieren Sänger*innen ja schon ganz intuitiv, auch wenn sie in einer konzertanten Aufführung singen. Die Gestik unterstützt den Ausdruck des Gesanges also. Und Wagner hatte eben ein ganzes System von klassischen Deklamationsgesten, die er bei der Inszenierung seiner Stücke verwendet hat und die auch erforscht sind. Von Walküre und Siegfried gibt es auch Regieauszüge von Richard Wagners Inszenierungen, was natürlich für unsere Forschung fantastisch ist. Und das Gestenrepertoire dieser beiden Stücke kann man relativ leicht auf Rheingold und Götterdämmerung übertragen, weil es nicht plausibel ist, dass Wagner in den anderen Stücken andere Gesten für die gleichen Emotionen verwand hätte.
Wir arbeiten also mit pathetischen Gesten des 19. Jahrhunderts. Und die machen was mit dem Sängerischen und Schauspielerischen. Aber insgesamt macht das Schauspielerische natürlich etwas mit dem Gesang. Wenn ich weiß, dass mein Ziel als Mime ist, das die Leute über mich lachen, singe und spiele ich ihn anders, als wenn ich in einer modernen Inszenierung das Ziel habe, dass das Publikum mit mir als Figur mitfühlt. Ich werde dann die Rolle anders singen, viel greller und karikaturesker. Ein anderes gutes Beispiel ist die Figur der Freia. In einer modernen Inszenierung würde man natürlich immer versuchen, sie möglichst selbstbewusst darzustellen. Und das funktioniert natürlich auch über die Art wie stark bestimmte Phrasen gesungen werden. In einer modernen Inszenierung ist das super spannend diese Figuren neu zu betrachten, aber aus unserer historischen Perspektive heraus ist Freia eben ein völliges „Hascherl“ und wenn ich als Freia eben zwei Stunden das Opfer spielen muss, macht das auch etwas mit meiner Körperlichkeit und meinem Gesang. Ich bin sehr froh, dass unsere beiden Sänger*innen, die bisher in dem Projekt Freia gesungen haben, Sarah Wegener und Nadja Mchantaf, die beide eigentlich aus einer feministischen reflektierten Perspektive auf die Rolle schauen, trotzdem diesen Weg mit uns gegangen sind und wir dieses ekelhafte Frauenbild so wirklich ausstellen können.
Wir tun also genau das, was man in einer modernen Inszenierung wahrscheinlich nicht machen würde. Normalerweise würde man solche problematischen Stellen, die bspw. Sexismus oder Rassismus, beinhalten, durch die Inszenierung kommentieren oder dagegen inszenieren. Das machen wir eben bewusst nicht, wir stellen dieses Frauenbild, oder beispielsweise auch die Judenkarikatur, die in den Zwergenrollen des Rheingolds steckt, bewusst aus. Wir sehen es als eine der Aufgaben dieser historisch informierten Aufführung eben in aller Deutlichkeit auch auf diese hochproblematischen Stellen hinzuweisen. Das Publikum bekommt genau das gezeigt: das ist das Stück und so behandelt es diese Themen. Ebenso wie wir uns anhören, was A-Stürzen und Darmsaiten mit dem Klang machen, betrachten wir, wie es klingt, wenn jemand die Judenkarikatur, die Wagner eben geschrieben hat, spielt und was das mit uns als Publikum macht.
Und dieser Antisemitismus, der dann in dem Stück hervortritt, ist absolut abstoßend, aber ich finde es gut, dass erst einmal gezeigt wird, was eben hier drin steckt. Unsere Strategie dabei ist vielleicht Subversion durch Überaffirmation. Wir betonen diese Stellen so stark, dass es hoffentlich jedem auffällt, wie problematisch sie sind.
Wie aber erarbeitet ihr diese Rollenpsychologie? Lässt sich das so klar aus den Regieanweisungen und dem Stück herauslesen oder fließt da auch viel der gesellschaftliche Kontext der Entstehungszeit in eure Überlegungen mit ein?
Ich finde beides, aber es lässt sich vor allem sehr gut aus direkt aus dem Stück herauslesen. Gerade auch, wenn man frühere Entwürfe betrachtet und zum Beispiel analysiert, wie hier Mime in den Regieanweisungen charakterisiert wird, die dann teilweise in der endgültigen Version gestrichen wurden, bleiben eigentlich keine Fragen offen, darüber, was Wagner hier zeigt.
Die Rheintöchter bei einer Probe in Köln - ©Heike Fischer
Die psychologische Interpretation einer Figur ist also untrennbar von der musikalischen Gestaltung dieser. Was wir jetzt bei den Wagnerlesarten sehen sind konzertante Aufführungen, die aber psychologisch durchinszeniert sind. Daraus resultiert ein eigenartiger Zwischenstatus, zwischen Konzert und Theaterstück oder? Ich hatte während der Aufführung in Dresden immer wieder den Gedanken, dass man hier eindeutig erlebt, dass der Ring des Nibelungen eben nicht ohne Inszenierung aufgeführt werden kann…
Es sind Theaterstücke. Rheingold ist kein symphonisches Werk, wie z.B. das Lied von der Erde, obwohl ich finde, dass man selbst da die Frage stellen kann, ob eine Inszenierung (wie in Stuttgart) nicht die spannendere Aufführungsmöglichkeit ist. Aber die Stücke des Rings sind so eindeutig Theaterstücke und das Gute ist, dass Kent Nagano das auch genauso begreift und immer wieder betont, dass die Geschichte erzählt werden muss und großen Wert auf die Textverständlichkeit legt.
Aber man kann natürlich eine Geschichte nur dann erzählen, wenn die Darsteller*innen wissen, was sie spielen, und wenn sie die Rollen auch die ganze Zeit durchspielen. Das spannende dabei ist eben, dass die Stücke nach einem ganz speziellen Schauspielstil verlangen. Das was Wagner fordert ist so eine Art Method Acting avant la lettre und gleichzeitig benötigt es auch eine Distanz, damit man als Sänger*in kapiert, was das Orchester macht, was aber wiederum die Figur selbst ja gar nicht wissen kann. Also das Ideal wäre eine Mischung aus Brecht- und Stanislawski-Schauspieler. Das was Wagner also fordert ist ultra modern, aber es geht natürlich vorbei an der Wagner-Realität und heute auch oft an der Sänger*innen-Realität. Wir haben aber das Glück Sänger*innen in dem Projekt zu haben, die diese Prinzipien fantastisch umsetzen.
Wagner war eben ein Dramatiker und kein reiner Musik Komponist. Trotzdem wird ja immer vor allem über seine Musik gesprochen…
Wagner selbst wäre wahrscheinlich sehr traurig, dass er nicht als Dramatiker und Regisseur und Bühnenbildner berühmt geworden ist, sondern „nur“ als Komponist und viele Leute auch auf seine Texte ein bisschen runter schauen und sagen, ja, die Musik ist geil, aber die alten Texte… Ich glaube, da wäre er entsetzt, weil er sich selbst schon extrem als Dramatiker verstanden hat. Also ich finde, seine Stücke sind auf vielen Ebenen sehr problematisch, aber ich finde sie als Dramen gut gemacht und ich denke, man kann ihnen tatsächlich sowohl das textliche Element als auch das szenische Element nicht wegnehmen. Es sind wirklich Theaterstücke.
Ja, und ich finde, man merkt es ja auch in euren Aufführungen. Ich meine, du hast mit den Sänger*innen psychologisch gearbeitet, sie sind im Grunde genommen inszeniert, trotzdem stehen sie natürlich einfach vor dem Orchester. Aber man spürt, finde ich, dass es ein psychologisch erzähltes Stück ist, kein Stück, wo man sich jetzt zurücklehnen und die Augen zu machen kann, um einfach die Musik genießen.
Absolut, und vor allem haben wir auch darauf geachtet, dass die Sänger*innen auch zwischen ihren Einsätzen nicht aus der Rolle fallen, das hast du ja bei konzertanten Aufführungen leider ganz oft so. Und ganz ehrlich so schön finde ich die Musik gar nicht, also das ist vielleicht mein Geschmack, aber ich finde, wenn du die Musik vom Text löst, wird sie schnell banal. Natürlich ist sie in ihrer szenischen Wirkung oft genial gemacht, aber ich find bspw. die Todesverkündigung ohne die dazugehörige Szene super langweilig, wenn sie da gefühlte 80mal diese Schleife dreht.
Ich verstehe schon, warum das sehr gut gemacht ist, aber ich find es vor allem wissenschaftlich und dramaturgisch interessant. Ich höre das jetzt nicht so zum Vergnügen, also das Walhall-Motiv, das viele so begeistert, findest du das gut? Ich meine, es ist super instrumentiert. Aber das spannende ergibt sich doch aus dem Augenblick heraus, aus dem Szenischen, wenn man sich vergegenwärtigt, was da passiert, das vorher das Ring-Motiv läuft, das dann in einer vielstufigen Transformation zum Walhall-Motiv wird. Da bin ich an Bord, das ist super, aber das muss ich halt szenisch beglaubigen und deshalb stehen sich in dieser Szene in unserer Version (in der wir ja leider nicht wie von Wagner vorgesehen das allmähliche Auftauchen der Burg aus dem Nebel zeigen können) Alberich und Wotan gegenüber. Weil das eine sein Motiv und das andere das des Gegenübers und diese Motive sich spiegelbildlich entwickeln. Also stehen sie sich gegenüber und schauen sich in die Augen. Ich finde, das macht was mit dem Motiv, ich höre es dann anders. Aber ganz ohne Szene fände ich das deutlich weniger stark. also ich glaube, ich bin nicht der Typ, der sich jetzt privat so eine Ring-CD eingelegt und das mal so zum Runterkommen hört.
Also für mich, ist Wagner, da ähnlich wie zeitgenössische Musik, je mehr ich mich auch wissenschaftlich und inhaltlich damit beschäftige, desto interessanter wird es.
Finde ich einen super Vergleich.
Ich erlebe das immer bei zeitgenössischen Stücken – Ich sitze davor und höre es und verstehe das meiste nicht, weiß auch nicht ob ich es mag, aber dann liest man Texte darüber und je mehr man versteht desto spannender wirkt es auf mich. Bei Wagner geht es mir eigentlich ähnlich, beim ersten Hören fand ich manches toll, manches belanglos, aber je tiefer ich mich mit den verschiedenen Ebenen beschäftige, vor allem auch mit dem Text, desto spannender finde ich es. Aber dieser Eindruck geht halt über die Musik hinaus. Ich glaube, du hattest mal den Begriff der Theatermusik in diesem Zusammenhang verwand.
Ich finde, es ist sehr, sehr tolle Theatermusik. Sie transportiert das, was er erzählen möchte, extrem gut und eben auch auf den Punkt. Diese dramatischen Momente, die da drin sind, also diese Tableau-Wirkung, die er ja auch teilweise von Meyerbeer geklaut hat, aber halt wirklich perfekt beherrscht, also das ist der Hammer… diese Kontrast-Dramaturgie… Aber sich so etwas losgelöst von der Aufführung anzuhören, ist nicht so mein Ding.
Noch einmal zurück zu der Grundidee der Wagnerlesarten. Prinzip der historisch informierten Aufführung wird ja meistens eher mit Barock-Musik in Verbindung gebracht, und weniger bis gar nicht mit dem Repertoire, dass aus dem 19.Jahrhundert stammt. Obwohl wir hier ja sehen, dass man zu einem historisch informierten Wagnerstück sehr viel machen kann. Warum ist diese Epoche eigentlich kein Thema dieser Aufführungspraxis? Weil die historische Distanz geringer ist?
Das würde ich sagen, ja, und weil natürlich auch die Meinung besteht, dass es besser klingt, so wie es heute ist. Die Idee dahinter ist glaube ich, dass Wagner, hätte er die Instrumente von heute gehabt, sie benutzt hätte. Das ist natürlich eine steile These, aber ich glaube, die steckt oft dahinter.
Das ist, finde ich, ist oft eine gewisse Doppelbödigkeit im Diskurs um die Aufführung von Wagnerstücken. Es wird immer viel darüber gesprochen, dass man es machen wolle, wie der große Meister es aufgeschrieben habe, aber in der Realität eifert man eher einem Ideal nach, das sich viel später in der Aufführungspraxis manifestiert hat. Ich habe das Gefühl, es wird also immer Werktreue gefordert aber eigentlich eine bestimmte Rezeptionstreue gemeint. Das ist das finde ich eben bei Wagner und da das Streifende diese Werktreue-Frage so.
Also zunächst mal ist der Begriff der Werktreue, bezogen auf Theater, ein Nazi-Begriff. Also es gibt den Begriff natürlich ein bisschen länger als die Nazis, aber halt als Kategorie, die sich nur auf die Musik bezieht.
Und der Moment, ab dem man ihn auch für Inszenierungen benutzt, und das lässt sich sehr gut nachweisen, auf den Nationalsozialismus zurückführen. Beziehungsweise ist es die Erfindung der Nazis, dass sie diesen musikalischen Begriff auf die Inszenierungsästhetik übertragen haben und damit behauptet haben, es gäbe eine korrekte Inszenierungsweise, vor allem für die Stücke von Wagner, aber auch von Mozart, Weber u.a. Diese Inszenierungsweise sollte dann festgelegt und immer und ausschließlich so durchgeführt werden, was natürlich jegliche Art von Interpretation und damit (politischer) Kritik im Theater ausschließt. Das ist also die Idee, die erstmal dahintersteckte.
Und dann ist es natürlich im Diskurs heute Wasser auf die Mühlen von konservativen Kunstfreund*innen, die keine Neuerungen möchten, sondern auch in der Oper eine Art Museum sehen, in dem man die Stücke immer gleich sehen kann. Aber da liegt eben der Unterschied zwischen bildender Kunst und Theater. Ich kann natürlich die Mona Lisa in ein Museum hängen, und sie bleibt immer die Mona Lisa. Allerdings muss man auch hier sagen, dass ich sie heute natürlich anders betrachte als jemand vor 200 Jahren. Aber Musik kann man eben nicht konservieren, weil sie immer neu aufgeführt werden muss und im Theater ist es noch krasser, weil alles immer wieder neu bebildert werden muss.
Wenn wir jetzt also über die Bebilderung sprechen, wäre eine historisch informierte Aufführungspraxis der nächste Schritt, den ihr (also das fimt) anstreben würdet? Und wäre das Ziel dann die Stücke auch mit den technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit auf die Bühne zu bringen, oder wäre der Gedanke dahinter dann eher das die Interpretation und Personenregie historisch informiert ist, aber zur Durchführung mit den Mitteln der heutigen Technik gearbeitet wird?
Also ich wäre bei diesem nächsten Schritt auf jeden Fall dabei. Ich fände es auch super spannend mit der Technik der damaligen Zeit zu arbeiten. Allerdings fürchte ich, dass wir das aus feuerpolizeilichen und sicherheitstechnischen Gründen nie durchsetzen könnten und man daher bei einer Aufführung eher versuchen müsste mit modernen Mitteln die Anmutung der alten Technik zu imitieren. Nichtsdestotrotz wäre eine Forschungsschiene super interessant, die sich damit beschäftigt, wie denn diese Schwimmwägen auf denen die Rheintöchter lagen, funktioniert haben, oder wie sieht der Feuerzauber aus, wenn er mit den Original-Dampfmaschinen und Bogenlampen hergestellt wird. Der Weg müsste meiner Meinung nach sein, es eben möglichst originalgetreu nachzustellen und dann für die Vorstellungen mit modernen Mitteln nachzuempfinden um dann eben herauszufinden, wie wird diese Ästhetik aufgenommen. Wie eine solche Erfahrung für ein modernes Publikum ist, fände ich genauso spannend wie eben die Frage, wie es heute auf uns wirkt, wenn man auf Darmseiten oder mit speziellen Wagnertuben spielt. Die Frage ist natürlich, ob man eine solche Inszenierung eins zu eins machen sollte, oder noch eine Art künstlerische Kommentarebene aus heutiger Sicht einbauen sollte. Also bspw. für das Publikum sichtbar markiert, was nicht rekonstruiert werden kann, oder man Leerstellen durch eigenes ergänzt, weil es mehr um die Gesamtwirkung auf das Publikum geht. Ich glaube, da könnte man sehr interessante Versuchsdesigns entwickeln, durch die man phänomenologische Wirkungsforschung betreiben könnte.
Ich finde ja, dass das wirklich ein Projekt für die Bayreuther Festspiele wäre, weil es an die Geschichte des Hügels anknüpft, aber gleichzeitig paradoxerweise einen sehr frischen Blick auf das Werk wirft. Zunächst jedoch kann man am 18. August das Rheingold noch einmal konzertant in Köln erleben. Ein Besuch lohnt sich!!!
Gezeichnet: Wein in den Muscheln
Bayreuth, Juni 2023
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